ANNE DEVILLARD

DAS TOR ZUR SELBSTLIEBE

DAS TOR ZUR SELBSTLIEBE
Anne Devillard

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages und der Autorin, entnommen aus: Natur & Heilen

Es scheint sicher vielen unmöglich, dass man innerhalb von sieben Tagen – so lange dauert der Hoffman-Prozess – eine so tiefe Erfahrung mit sich und über sich selber machen kann. Trotzdem konfrontiert diese Woche die Teilnehmer sehr wirksam mit dem Zustand des Sichnichtgeliebt-Fühlens als Kind und später als Erwachsener. Unsere Autorin, Anne Devillard, die selbst an einem Prozess teilgenommen hat, vermittelt uns ihre Eindrücke.

Es ist ein schwieriges Unterfangen, über den Hoffman-Prozess zu berichten. Alles, was man schreibt, kann nur eine Annäherung an das sein, was man während dieser intensiven Woche erlebt. Das Geschriebene bleibt, ob man es will oder nicht, im Bereich des Abstrakten, obwohl die tiefen Erfahrungen, die man dort macht, alles andere als abstrakt sind.

Der Mitbegründer des Prozesses, Robert Hoffman, hat eine Methode entwickelt, deren Wirksamkeit auf der Unmittelbarkeit des Erlebens beruht. Ich kann nur insoweit über diese Methode schreiben, als ich über die ihr zugrundeliegende Thematik und ihre Ziele, aber nicht im Detail über ihren Ablauf berichte. Nicht weil ich daraus ein Geheimnis machen und der Sache einen elitären Charakter verleihen möchte, sondern weil ich der Meinung bin, dass ich denjenigen, die sich dazu entschließen, diese Woche mitzumachen, zu viel vorwegnehmen würde.

Das Ziel des Hoffman-Prozesses ist das harmonische Zusammenwirken von Körper, Gefühl, Verstand und Spiritualität. Erst wenn wir diese vier Elemente in uns vereint haben, können wir uns annehmen und lieben.

Um dies zu erreichen, müssen wir in unsere Kindheit hinabtauchen und erfahren, wie wir damals von unseren Eltern programmiert wurden. Natürlich haben wir von ihnen viel Positives übernommen, leider aber auch viel Negatives.

Die Wurzeln liegen in der Kindheit – sogar schon im Mutterleib – und reichen bis zur Pubertät. Danach ist alles nur eine Wiederholung der Struktur, die in den ersten 12 Jahren unseres Lebens festgelegt worden ist.
Als-ob-Persönlichkeiten

Der Zwang, sich die Liebe seiner Eltern zu erkaufen, führt – um mit Alice Miller zu sprechen – zu “Als-ob-Persönlichkeiten”, die ihr ganzes Leben lang alles unternehmen, um die Leere, die durch den Mangel an wahrer positiver Liebe entstanden ist, auszufüllen. Sie befriedigen sich mit Ersatzmitteln wie Geld, Karriere, materiellem Besitz, sie verlieren sich im Alkohol und betäuben sich mit Zigaretten und Essen im Übermaß. Diese ununterbrochene Selbstbetäubung stumpft gleichermaßen ihre Begeisterungsfähigkeit und Lebensfreude ab. Viele Menschen werden so zu emotionalen Krüppeln und schleppen sich wie Halbtote durch das Leben, um dann zu sterben, bevor sie erfahren haben, wer sie eigentlich sind.
Den Teufelskreis durchbrechen

Es ist eine Plattitüde zu sagen, dass die Liebe Ursprung des Lebens und damit Leben ist. Es ist einfach so. Und dass damit unsere Eltern eine herausragende Rolle in unserer Erfahrung der Liebe spielen, liegt auf der Hand. Deshalb – wenn es darum geht, uns mit der Thematik der Eltern auseinander zusetzen – setzen wir uns zwangsläufig mit dem Begriff der Liebe bzw. der Selbstliebe und Selbstannahme auseinander.

Wir können uns nicht liebenswert fühlen, solange wir es nicht erfahren haben. Wenn wir als Kind nie ein Gefühl, eine Annäherung dessen bekommen haben, was unser wahres Selbst ist, was unsere wahren Bedürfnisse und Gefühle sind, können wir uns als Erwachsene nicht lieben. Wir können nicht lieben, was wir nicht kennen. Wir kennen es nicht, weil wir als Kind – außer in seltenen Fällen – nicht die Möglichkeit gehabt haben, unsere Gefühle bedingungslos auszuleben, sei es Zuneigung, Freude, Zärtlichkeit, aber auch Wut, Aggression, Trotz, weil niemand da war, der sie in vollem Ausmaß und ihrer Ernsthaftigkeit angenommen hat.
Noch einmal seine eigene Kindheit erleben

Die Auseinandersetzung mit sich selbst findet meistens in Krisenphasen statt. Oft greift man da zu therapeutischen Methoden, die eine Anpassung und keine Selbstverwirklichung zur Folge haben. Oder man legt tausende von Kilometern zurück, um nach einem Guru zu suchen, um die Liebe von außen zu empfangen, statt sie in sich zu entwickeln.

Um als Erwachsene die Erfahrung der Selbstliebe zu machen, müssen wir noch einmal unsere eigene Kindheit wiedererleben, in der die zukünftigen Prägungen und Programmierungen festgelegt wurden. Wir müssen gefühlsmäßig, erfahrungsmäßig, und nicht mit dem Intellekt, noch einmal durch den Schmerz gehen, den wir als missverstandenes Kind erlebt haben. Die Erfahrung dieses Schmerzes ist – im Gegensatz zu dem, was man denken könnte – überhaupt nicht destruktiv, sondern sehr heilsam. Und diese Erfahrung ist die einzige Möglichkeit, zu verhindern, dass die eigenen Kinder nicht auch ihrer Gefühle beraubt werden.
Die Reinigung

All dieser Schmerz wird unseren Eltern in Sitzungen voll reinigender Explosionen und mit ganzem körperlichen Einsatz zurückgegeben.

Diese Phase ist sehr wichtig. Denn wenn wir uns aus Scheinheiligkeit weigern, unserer Wut freien Lauf zu lassen, können wir uns von unseren zwanghaften, negativen Gefühlen nicht befreien und meistens ist die Veränderung nur vorübergehend. Wir können nur aufgeben, was wir ganz ehrlich anschauen, ohne Beschönigung und Verklärung.
Verzeihen ist der Schlüssel zur Selbstliebe

Aber dabei bleibt es nicht: Ohne tiefes Verständnis und Mitgefühl für die Kinder, die unsere Eltern waren, können wir ihnen nicht verzeihen. Und wenn wir unseren Eltern nicht vergeben können, können wir den Eltern in uns nicht vergeben. Es ist ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses, gefühlsmäßig zu verstehen, dass es ja die Eltern in uns sind, die zum Beispiel glauben, dass wir das oder jenes nicht schaffen können, dass wir schwach oder unzuverlässig sind usw.

Es hat mich zutiefst beeindruckt, zu erfahren, wie alles zusammenhängt: Wenn wir unsere Eltern nicht verstehen, können wir ihnen im tiefsten Herzen nicht verzeihen. Wenn wir ihnen nicht verzeihen, können wir uns selber nicht verzeihen und dementsprechend uns nicht annehmen und selbst lieben. Und wenn wir uns nicht lieben, können wir andere auch nicht lieben.

Diesen letzten Satz hatte ich vorher schon tausendmal gehört oder gelesen. Aber erst in dieser Woche habe ich im tiefsten Inneren erfahren, was er eigentlich bedeutet.

Durch das Verzeihen öffnen wir unser Herz und treten in Kontakt mit unserem sichtbar gewordenen spirituellen Selbst und dem Licht in uns, das die Quelle unseres Lebens ist.
Volle Verantwortung für sich übernehmen

Wir sind endlich frei und selbstverantwortlich für unser Leben, für unser Denken, Fühlen und Handeln. Wir können nicht mehr unseren Eltern für unsere Misserfolge und unser Unglück die Schuld geben. Wir haben jetzt freie Wahl. Ob wir uns entscheiden, unsere alte Struktur und Negativität beizubehalten oder unser Leben aktiv zu gestalten, liegt in unserer eigenen Verantwortung. Daraus entsteht eine ungeheure Kraft und Möglichkeit, unsere Fähigkeiten und unser ganzes Potential zu verwirklichen. Denn Abschiednehmen von der negativen Abhängigkeit heißt erwachsen werden, das heißt selbstverantwortlich und selbständig. Erst dann können wir den richtigen Platz in unserem Leben einnehmen und uns verwirklichen.
Das Leben danach

Jeder, der insgeheim gedacht hat, dass er sich durch den Hoffman-Prozess einen Erleuchtungsschein geholt hat, liegt ganz falsch und ist Opfer seiner Scheinheiligkeit. Wieder ein Muster!

Nein, das Leben geht weiter. Der Alltag holt uns ein und unsere negativen Verhaltensweisen sind nicht verschwunden, nur weil wir sie erkannt haben. Die sieben Tage des Prozesses stellen nur einen Anfang dar und bilden die Basis zum Weitermachen. Neun Monate nach meiner Teilnahme am Hoffman-Prozess merke ich beim Schreiben, dass ich immer noch sehr von dieser Methode überzeugt bin. Ich wünsche es eigentlich jedem, diese Woche zu machen, nicht zuletzt, wenn man therapeutisch arbeitet. Der Prozess bringt viel Klarheit über sich selbst und verfeinert unsere Sensibilität für die Dinge, die uns gut tun oder nicht. Ich weiß, dass ich eigentlich nicht allein bin, dass ich da zu fünft sitze: mit meinem Körper, meinem Intellekt, meinem emotionalen, meinem spirituellen Selbst und … meiner spirituellen Führerin!

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